Das Gift der Vipern

In vielen Fällen wird das Gift unserer heimischen Vipern überschätzt! Und außerdem sind sie rar geworden, die einzigen zwei in Österreich lebenden Giftschlangenarten! Die Kreuzotter (Vipera berus) mit mäßiger und die Hornotter oder Sandviper (Vipera ammodytes) mit mittlerer Giftwirkung. Sie nach einem eventuellen Biss zu erschlagen, um das Tier wegen der Anti-Serumbestimmung dem Arzt vorzulegen, ist blanker Unsinn.

Nicht immer sind sie leicht zu unterscheiden

Beim ersten Hinsehen sind die Unterscheidungsmerkmale dieser beiden Vipern nur geringfügig. Im Verhältnis zur Körperlänge besitzen unter den Schlangen die Vipern den dicksten Körper, ein kurzes Schwanzende und einen vom Hals abgesetzten Kopf. Das Auge hat eine rötliche bis feuerrote Iris und die Pupille verformt sich – im Gegensatz zu den Pupillen der heimischen Nattern – tagsüber zu einem senkrechten Schlitz. Im Durchschnitt beträgt ihre Körperlänge etwa 60 – 75 Zentimeter, aber Reptilien wachsen ein Leben lang und unsere Vipern können in Ausnahmefällen eine Körperlänge von 85 bis 90 cm erreichen. Entlang des Rückens besitzen Hornottern in überwiegenden Fällen ein dunkles Wellenband, Kreuzottern ein deutlich ausgebildetes Zickzackband. Allerdings treten bei Letzteren auch schwarze (Höllenotter) oder rötliche (Kupferotter) Färbungsvarianten auf, bei denen das Zickzackband nicht oder kaum sichtbar ist. Während die Färbung der Oberseite beim Männchen von weißlich bis mittelgrau variieren kann, schlagen beim Weibchen eher braune bis rötliche Farbtöne durch. An der Schnauzenspitze der Hornotter befindet sich ein etwa 7 Millimeter langer, beweglicher Hornfortsatz. Kreuzottern besiedeln kühle und feuchte Gebiete, leben in Wäldern, Mooren und im Gebirge bis in eine Höhe von 3000 Metern, Hornottern selten über 1300 Meter und sie bevorzugen trockene Gebiete. Innerhalb dieser Bereiche suchen beide Arten stets die wärmsten Kleinklimate, wie Lichtungen, Geröllhalden aber ebenso Wegränder auf. Sie können ein Alter von 20 Jahren erreichen. Beginnen im Frühherbst die Temperaturen zu sinken, stellen die Tiere die Nahrungssuche ein und nach etwa ein bis zwei Wochen halten sie Einzug in ihr, meist immer gleichbleibendes, Winterquartier (hohle Baumstämme, Felsspalten, Steinhaufen, Erdlöcher, Holzstöße).

Es kommt zum ritualisierten Kampf

Je nach Witterung können Männchen bereits Ende Februar aus ihren Überwinterungsquartieren schlüpfen, um sich, noch lethargisch, nahe dieser Wohnbereiche bis ins Frühjahr – und das ohne Nahrungsaufnahme – zu sonnen. Dieses Verhalten dient der Reifung der Spermien. Drei bis vier Wochen später erwachen die Weibchen aus ihrer Winterruhe und wandern allmählich zu ihren gewohnten Paarungsplätzen. In gemäßigten und kühleren Breiten pflanzen sich diese Tiere mitunter nur in Abständen von zwei oder mehr Jahren fort. Ende April, Anfang Mai häuten sich die Männchen das erste Mal im Jahr, erstrahlen dann in kontrastreicher Frische und innerhalb von wenigen Stunden verwandelt sich ihre Trägheit in aktive Unruhe. Mit ruckartigen Bewegungen suchen sie, züngelnd die Umgebung prüfend – wobei die gegabelte Zunge Duftpartikel aufnimmt und zum Vomeronasalen oder Jacobsonschen Organ im Gaumendach befördert – Beute oder die paarungsbereiten Weibchen. Treffen dabei zwei Männchen aufeinander, kommt es zum ritualisierten Kampf, in dem sie sich ohne Beißattacken aufrichten, seitwärts rhythmisch pendeln, spiralförmig, sich aneinander pressend umschlingen und, wenn der Schwerpunkt überschritten wird, zu Boden fallen. Meist endet der Kampf mit einem gewaltigen Ruck, das unterlegene Männchen flieht und der Sieger widmet sich dem Weibchen. Ende Juli, Anfang August kommen die Jungottern genau an jenem Ort, welchen das Muttertier als Frühjahrssonnenplatz wählte, zur Welt. Beide Vipernarten sind ovovivipar, das heißt: es entwickeln sich in ihrem Körper Eier, jedoch mit einer sehr dünnen, schleimigen, durchsichtigen Hülle, welche unmittelbar nach dem Geburtsvorgang aufreißt und für ein bereits vollentwickeltes Jungtier beginnt das Leben. In der Regel sind 5 – 10, in Ausnahmefällen sogar 20 Exemplare möglich. Gleich nach der Geburt häuten sich die etwa 13 – 20 cm großen Jungtiere und bald darauf beginnen sie mit der Nahrungssuche. Die Beute besteht ausschließlich aus Insekten, Jungeidechsen und jungen Fröschen, von deren Vorkommen es abhängt, wie sich eine Population weiterentwickelt. Erwachsene Ottern ernähren sich zusätzlich von Mäusen und anderen Kleinsäugern, selten von Vögeln. Sie selbst werden von natürlichen Feinden wie Igel, Mauswiesel und Iltis bedroht. Gelegentlich fallen auch Steinmarder, Dachs, Fuchs und das Wildschwein über sie her und zusätzlich droht ihnen noch Gefahr aus der Luft. Steinadler, Schlangenadler, Weiß- und Schwarzstorch sowie der Mäusebussard verschmähen sie nicht. Selbst Raben, Dohlen und Elstern aber auch großen See- oder Teichfroschweibchen können junge Vipern zur Beute werden. Schlussendlich wir Menschen, ihre größten Feinde, zerstören durch Trockenlegung von Sümpfen und Aufforstung ihren Lebensraum, sorgen mit intensivem Straßenbau für ihren Tod und zahlten noch in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts für jede erschlagene Horn- oder Kreuzotter eine Prämie.

Giftwirkung und Verhaltensmaßnahmen

Das Risiko, von einer Schlange attackiert zu werden, ist sehr gering. Ihr hochentwickeltes Cortisches Organ lässt sie Erschütterungen über weite Strecken wahrnehmen, den potentiellen Gegner hinsichtlich seiner Größe einschätzen und noch ehe wir sie zu Gesicht bekommen, die Flucht ergreifen. Unsere Vipern sind scheu und nicht angriffslustig – Hornottern, in die Enge getrieben, warnen mit lautem Zischen – aber was tun, wenn man dennoch gebissen wird? Die Vipern verfügen über zwei umlegbare Röhren-Zähne, welche das Gift aus den Drüsen ins Beutetier injizieren, wo es wegen eines Gemischs verschiedener Enzyme und hämorrhagischer (zu Blutungen führender) sowie cytotoxischer (zellgiftiger) Faktoren auf das Blut und Gefäßsystem (Aderwände werden durchlässig) wirkt. Die Bissstelle zeichnet sich durch zwei symmetrischen, 1 ½ cm auseinanderliegenden Stichstellen aus. Meist ist der Biss sehr schmerzhaft, jedoch auch bei schweren Vergiftungen können Schmerzen minimal sein oder gänzlich fehlen. Lokal entsteht schon wenige Minuten nach der Giftinjektion eine starke Schwellung mit blauroter Verfärbung. In extremen Fällen wird auch von Schweißausbrüchen, Übelkeit, Kopfschmerzen und Pulsrasen gesprochen. Auch Atembeschwerden und Blutdrucksenkung sind möglich. Jedoch sind die Reaktionen bei Menschen unterschiedlichster Art. In den meisten Fällen kommt es aufgrund geringer Giftapplikation zu keinen nennenswerten Vergiftungssymptomen. Das Schlimmste, nämlich Panikreaktionen, sollte man tunlichst vermeiden und das gelingt dann am besten, wenn man sich vor Augen hält, dass im Normalfall die Gifte europäischer Vipern nicht lebensbedrohend sind. Außerdem ist die Giftproduktion energetisch aufwendig und deshalb injizieren Schlangen bei Verteidigungsbissen gar keine oder eine geringere Giftdosis als beim Beutefang. Würden sie nämlich ihre Giftdrüsen völlig entleeren, könnten sie längere Zeit nichts erbeuten und wären gegenüber anderen Angreifern wehrlos.

Aufschneiden, aussaugen oder abbinden und Alkohol trinken sind Unfug

Tatsächlich ist die Giftwirkung bei unseren heimischen Vipern als mäßig bis mittel zu bezeichnen, wird aber häufig durch die Aufregung des Attackierten verstärkt. Der Gebissene sollte, auch wenn er sich in höheren Regionen aufhält, Ruhe bewahren und keinesfalls – nach Wildwestmanier – die Wunde ausschneiden, ausbrennen oder aussaugen und Alkohol zu sich nehmen. Ebenso keine Stauungs- oder Kompressionsverbände anlegen, da dies nach neuen Erkenntnissen die Einschwemmung des Giftes in den Körper nicht oder kaum verhindert, aber den lokalen Bissbefund massiv verschlechtert. Der Schlangenbiss sollte wie jede andere Wunde verbunden werden. Betrifft er die Hand oder den Arm, so müssen Ringe, Armreifen etc. abgenommen werden, um bei starker Schwellung durch Einschneiden schwere Gewebeschäden zu verhindern. Unbedingt einen Arzt aufsuchen! (Tetanusprophylaxe). In der heutigen Zeit ist es in den meisten Fällen möglich, mittels einem Handy die Rettung (144) oder den Alpinnotruf (140) zu alarmieren. Wenn in den Bergen kein telefonischer Kontakt hergestellt werden kann, muss ein Begleiter erst die Wunde versorgen und die betroffene Extremität eventuell durch Schienen ruhig stellen, danach rasch absteigen und professionelle Hilfe holen. Ein auf sich Gestellter hat ohnehin ein größeres Restrisiko mit einzukalkulieren und sollte sich deshalb im Gelände aufmerksamer bewegen und darauf achten, wohin er tritt oder sich setzt. Bei weit über der Hälfte der registrierten Schlangenbisse ist der Knöchelbereich betroffen. In der Regel bieten festes, hohes Schuhwerk und lange Hosen ausreichenden Schutz.

Schlangenangst

Steckt die Furcht vor Schlangen bereits in unseren Genen oder ist sie anerzogen? In Indien, Vietnam, auf Borneo, Papua Guinea und in Afrika war ich aufgrund der Reaktionen aller Affenartigen, welche beim Anblick einer Schlange warnschreiend Reißaus nahmen, davon überzeugt, dass diese Furcht genetisch verankert ist. Eines besseren wurde ich in Zoos belehrt. Beim Ansichtigwerden einer Schlange reagierten in Gefangenschaft geborene Affen eher interessiert als ängstlich. Beobachten sie jedoch, dass andere Artgenossen mit Angst auf Schlangen reagieren, erwerben auch sie diese schnell und dauerhaft. Es scheint also an der Erziehung zu liegen, wie sehr sich Primaten, also auch Menschen, ein Leben lang vor Schlangen fürchten oder ob sie “nur” eine sinnvolle Vorsicht entwickeln. Die Angst vor Spinnen und Schlangen ist mehrere Millionen Jahre alt und im Menschen tief verwurzelt. Gegen eine genetische Verankerung spricht allerdings die Tatsache, dass es auf dieser Erde Hunderttausende Menschen gibt, welche sich mit dem Fangen von Giftschlangen ihren Lebensunterhalt verdienen. In Indien beispielsweise gibt es Schlangenfängerfamilien, in denen bereits Achtjährige dieser Profession selbständig nachgehen. Zwar mit gebotener Vorsicht aber völlig furchtlos. Es scheint, als hätte sich im Laufe der Evolution eine genetische Prädisposition zum Erlernen von Angst gegenüber solchen Reizen herausgebildet, welche – weit in unsere Vergangenheit zurückreichend – Gefahr signalisieren. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass in unseren Bereichen die Schlangenangst viel verbreiteter ist als die vor fahrenden Autos, obwohl objektiv gesehen Letztere viel gefährlicher sind als Schlangen. Deshalb darf berechtigterweise angenommen werden, dass Affen und vermutlich auch Menschen, Angst vor Schlangen haben zu müssen erst lernen und, dass sie es überhaupt lernen genetisch bedingt ist. Es wird Leser geben, die schon allein beim Betrachten der abgebildeten Ottern eine starke Abneigung, ja sogar Angst verspüren. Die Ursachen dafür liegen in der Vor- und Schulzeit: Man bleibt vom negativen Übertrag – bestehend aus Ekel oder übertriebener Ängstlichkeit des sozialen Umfeldes – ein Leben lang mehr oder weniger geprägt, wenn man diesen Gefühlen nicht kritisch oder, wenn nötig, durch Überwindung begegnet.