Corvus corax
Elster, Eichel- und Tannenhäher, Dohle und Alpendohle, der Kolkrabe, Saat-, Aas-, Raben- und Nebelkrähen gehören alle zur Familie der Rabenvögel Corvidae, aus der Ordnung – man staune – der Sperlingsvögel. Allesamt überleben omnivorisch, das bedeutet, dass sie imstande sind sich jeglicher Nahrungsart anzupassen. Es fällt ihnen leicht, sich in den unterschiedlichsten Biotopen zurechtzufinden und deshalb sind sie auch weltweit verbreitet.
Der Rabe im Totem
Kennt man diese Vögel nur oberflächlich, kann einem bereits das „Gekrächze“ – die innerartliche Kommunikation – ihr Rufen, auf die Nerven gehen. Beschäftigt man sich aber mit diesen hochintelligenten Tieren intensiver, ist es gar nicht abwegig, wenn man sie zu verehren beginnt. Vor allem, wenn man ihre Mythologie inkludiert. Als ich 1965 bis 1967 im kanadischen Yukon meine Feldforschungs-Lehrzeit verbrachte und mit meinem Freund Tom Saskat, einem Häuptling der Tsimshian Natives, Ranger und Scout von Wildlife Management International Service durchs Land zog, lernte ich einige verschiedene dort lebende Indianer-Stämme kennen. In allen ihren Totems befand sich unter den Bären und Adlern stets der Rabe im kunstvoll geschnitzten Holz. Die Crow Nation (Krähen Nation) nennt sich heute noch stolz der Indianerstamm der Absarokee (Kinder des langschnabeligen Vogels), welcher in den Bergregionen der US Bundesstaaten Montana, Wyoming und im Süden Kanadas lebt.
Ein furchtbares Ende der englischen Monarchie
Weltweit spielen diese Vögel eine erhebliche Rolle in Sagen und Märchen, aber auch im Volks- und Aberglauben. Tod und Wiedergeburt! Stete Begleiter des nordischen Gottes Odin waren die Raben Hugin und Munin. Sie trugen ihm damals wie uns heute unsere heimischen Nachrichtensender Neuigkeiten aus aller Herren Länder zu. Selbst das Alte Testament berichtet, dass Noach von seiner Arche einen Raben aussandte, um Land zu erkunden. In allen indianischen Einschlafgeschichten ist von diesem schwarzen Vogel die Rede. Im Urchristentum sprach man über ihn vom heiligen Boten-Vogel! Auch die indische Göttin Kali wurde von Krähen begleitet und „Six Ravens must on the Tower (of London) stay“ ist heute noch Usus, denn einer Legende nach bedeutet das Fehlen dieser Tiere ein furchtbares Ende der Monarchie! Die Raben werden künstlich ebendort gehalten, indem man ihnen die Flügel stutzt und sie täglich mit Futter versorgt. Im späteren Christentum bürdete man dem Raben das „Böse“ auf: Hexen verwandelten sich in ihn! Man bezeichnete ihn als Hüter des Tores zur Unterwelt und steten Schergen des Teufels. Wehe es krächzte ein Rabe während einer Beerdigung über dem Friedhof: dann hatte man den zuletzt Beerdigten lebendig begraben. All dieser Unsinn steckt leider noch immer in so manch unbelehrbaren Kopf. Eines allerdings stimmt heute noch, das Kinderlied „Hoppa, hoppa Reiter, wenn er fällt dann schreit er, fällt er in den Graben fressen ihn die Raben…“, denn jeglichen Kadaver verdrücken Raben ziemlich rasch.
Raben mit Humor …
Heute weiß man, dass Raben und Krähen zu den intelligentesten Vögeln zählen, raffiniert Werkzeuge zum Nahrungserwerb herstellen, ganze Sätze, Kuhglockengeläut und Bussardrufe sowie das Heulen des Wolfes nachahmen. Vor einigen Jahren, Ende Januar, nächtens um 1 Uhr, nahe einer Gailtaler Alm bei Hermagor – ich war gerade damit beschäftigt die Ranz-Laute (Paarungsrufe) vom Luchs mit einem Richtmikrofon auf einen Tonträger zu bannen – vernahm ich das Muhen einer Kuh. Erst zweifelte ich an der Zuverlässigkeit meines Gehörs, doch dann hörte ich sehr deutlich den selben Laut noch einmal. Vergessenes Almvieh, bei minus 16 Grad und 80 Zentimeter Schnee? Unwahrscheinlich! Doch es muhte wieder, diesmal etwas lauter. Eine Sensation! Mitten im Winter eine frisch und fröhlich muhende Kuh auf frostig verschneiter Alm. Meine Bemühungen, trotz ruhigen Rufens von „Tschooka, Tschookale“, das Rindvieh zu finden scheiterten, also beschloss ich Hilfe zu holen. 15 Gehminuten entfernt, schlief in einem Iglu die Zoologin Manuela Siller, welche mich um 3 Uhr morgens ablösen sollte. Auf dem Weg dorthin befand sich eine offen stehende, eiserne Schranke. Als ich etwa 40 Meter von ihr entfernt die Forststraße mit Schneeschuhen nach unten stapfte, fiel sie, aus bis heute nicht rekonstruierbaren Gründen, mit lautem Mehrklang in die eherne Gabel. Sehen konnte ich sie nicht und dieser Umstand ließ mich vor Schreck erst einmal gehörig zusammenzucken. Dieses Geräusch vernahm auch die vermeintliche Kuh und sie flog muhend über mich hinweg auf einen anderen Baum. Dem Rauter Rudi, einst Halter auf der selben Alm, kam ein Kalb mit Glöckchen abhanden. Täglich suchte er stundenlang, in allen Gräben und Schluchten nach dem ihm anvertrauten Tier. Eines Tages horchte er auf, da war doch der Klang der Rindviehglocke zu hören! Eifrig ging er dem Geräusch nach. Als es wieder läutete musste er ein wenig die Richtung ändern, doch nach einiger Zeit des Suchens geschah ihm Seltsames: Es bimmelte plötzlich hinter ihm, hoch oben auf einem Baum, auf dem der Glöckchen nachahmende Schelm – ein Rabe saß.
… und Hang zu glitzerndem Klunker
Otmar Bidner, der Hermagorer Bodenalmwirt zog vor etlichen Jahren einen Raben auf. Von Vögeln versteht der Mann einiges, das kann auch seine Lebensgefährtin bestätigen! Zahm aber keck hüpfte der noch nicht flügge Rabe vorerst völlig frei am Boden herum. Mit Unterstützung der Flügel erreichte er bald die Höhe der Tische und da stolzierte er zwischen Biergläsern, Aschenbechern und Jausenbrettln zur Belustigung der Gäste hin und her. Nahm liegen gelassene Bierverschlüsse in seinen Schnabel und ließ sich gekonnt im Gleitflug nieder auf die Wiese, hopste mit dem glänzenden Gegenstand davon, um ihn zu verstecken. Immer mehr baute er seine Flugkünste aus und schon bald hörte man sein Kroken vom Giebel des Wirtshausdaches. Sichtliche Freude empfand das Rabenvieh, wenn viele Gäste kamen und rund ums Haus an den Tischen saßen. Mit schrägem Köpfchen beobachtete er das Geschehen unter ihm. So geschah es eines Tages, dass er sich im Sturzflug auf einen der Tische niederließ, den darauf liegenden Schlüsselbund an dessen Ring in den Schnabel zwängte und mit kräftigem Flügelschlag, zum Entsetzen des Besitzers, entschwebte. Auto-, Safe-, Wohnungs-, Büro-, Kassa und Garagenschlüssel auf Nimmerwiedersehen hoch oben in den Lüften? Nach einigem Kreisen ließ sich der Rabe mit seiner schweren Last auf seinem Stammplatz, dem Giebel nieder. Bei der Landung entglitt ihm der wertvolle eiserne Bund und rutschte abwärts in die Dachrinne. Mit langer Leiter ebendort herausgefischt, konnte man dem einmal kräftig durchatmenden Bestohlenen sein Eigentum zurückerstatten. Tausende solche Geschichten sind verbrieft und würden, erzählte man sie, Bücher füllen.
Verlobungszeit
Konrad Lorenz hat sich schon in den 30iger und 40iger Jahren des 20. Jahrhunderts mit Rabenvögel beschäftigt und deren Lust am Fliegen, ihr komplexes Sozialverhalten und ihre überdurchschnittliche Intelligenz beschrieben. Seit 13 Jahren mit Raben vertraut ist die Zoologin Dr. Gertrude Drack aus Scharnstein OÖ, nahe des Almtales. Besser bekannt als „Raben Gerti“ hat sie sechs Bücher und zahlreiche Publikationen geschrieben, beratend Filme gestaltet und das Verhalten von Raben eingehend studiert. Immerhin ist es ihr gelungen einige visuelle und akustische, innerartliche Verständigungssignale dieser Geschöpfe zu übersetzen. Perfekt imitierten schon die Kinder der Tlingit- und Haida-Indianer-Stämme deren Stimmen, sodass ich oft in Erstaunen geriet, wenn es ihnen gelang viele dieser Vögel anzulocken. Raben dezimieren keine Singvogelbestände, auch wenn sie manchmal ein Gelege stehlen. Diese Verluste werden meist durch Nachlegen ersetzt. Gefährlicher sind vielmehr Hauskatzen, welche adulte Vögel fangen, die dann als Brutpotential verloren sind. Der Kolkrabe (Corvus corax) kommt auf der gesamten Nordhalbkugel und bis an die Südspitze Nordamerikas vor. Bei einer Körperlänge von 65 Zentimeter und einer Flügelspannweite von 1,20 Meter ist er um einiges größer als alle anderen in Europa lebenden Rabenvögel. Der einfarbig schwarze, metallisch glänzende Vogel hat einen klobigen, ebenso schwarzen Schnabel und im Flugbild hebt sich der keilförmige Schwanz von Krähen, Dohlen und Hähern ab. Als Standvogel hält sich der Kolkrabe nach dem Nisten im weiteren Umfeld seines Horstes auf. Sein Nest baut er häufig auf Bäumen, mitunter aber auch in Felsnischen. Die ein Leben lang in Gemeinschaft lebenden Paare bebrüten schon im Februar und März, manchmal sogar abwechselnd, die meist 4 bis 6 gelegten Eier und versorgen gemeinsam die im April geschlüpften Jungen mit Nahrung. Flügge gewordene Raben bleiben nur einige Monate im elterlichen Revier, dann wandern sie ab und legen viele hundert Kilometer zurück. Sie vergesellschaften sich meist und es kann zu Ansammlungen von über eintausend Exemplaren kommen. Mitunter bleiben sie zwei, drei Jahre, bis zur Geschlechtsreife zusammen. Zumeist finden sie in dieser Zeit einen Partner, mit dem sie sich sozusagen „verloben“. Während der Reviersuche vertieft sich ihre Beziehung und erst nach dem ersten Jahr ihrer Probezeit kommt es zum Fortpflanzungsakt. Ab diesem Zeitpunkt sind sie „verheiratet“ und leben Seite an Seite, treu und in festem Zusammenhalt.
Erschossen, vergiftet und in Fallen gefangen
Vorwiegend fressen sie Insekten, Käfer, Schnecken jedoch auch Samen, jeglichen biologischen Abfall und Aas. Raben sind hochgradig für das Auffinden von Kadavern spezialisiert. Schon kurze Zeit nach Eintritt des Todes haben Raben das verendete Tier aufgespürt und signalisieren mit ihrem Verhalten Greifvögeln Beute Nicht grundlos, denn selbst können sie mit ihren kaum gekrümmten Schnäbeln nur an Augen und Körperöffnungen wie Äser und After Nahrung entnehmen. Greifer öffnen mit ihrem Schnabelhaken den Kadaver, fressen sich voll und danach sind die Raben wieder am Zug. Der Glaube, dass Kolkraben über 100 Jahre alt werden ist falsch! In Freiheit überleben diese Tiere 25 Jahre nur selten. Verbrieft allerdings ist, dass ein in Gefangenschaft lebender Rabe 68 Lenze (Bezzel 1993) überlebte. Zu Beginn des 19. Jhdts. stellte man diesen Vögeln durch tausendfachen Abschuss, Fallen und Ausbringung von Giften vehement nach. In weiten Teilen Mitteleuropas führte diese massive Verfolgung zur Ausrottung. Belgien, Holland und Luxemburg zählen zu jenen Ländern, in denen es heute keine Kolkrabenpopulationen mehr gibt. Zum Glück weist das Überleben dieser Art europaweit wieder eine steigende Tendenz auf. Die Schöpfung, die allumfassende Kraft hat den Raben nicht willkürlich gemacht und ihn einfach so in den Raum gestellt. Er wurde mit vielen, ökologisch wichtigen Aufgaben betraut. Man kann ihn durchaus als Reinmacher und Unratvernichter bezeichnen!