Der Waldkauz

In vielen Filmen, in denen nächtens ein Friedhof gespenstisch ausgeleuchtet in gruselerregenden Bildern gezeigt wird, intensiviert der schaurige und wohl bekannteste „Huh-Huhuhu-Huuuh“-Ruf die Szene. Der Ruf des „Todesvogels“, entstanden aus dem Volksaberglauben, welcher die Lautäußerung „Kujwitt“ mit „kumm mit“ übersetzt und den Tod eines nahen Verwandten voraussagt. Während der erste der Laute vom männlichen Waldkauz die Balz signalisiert, ist das „Kujwitt“ der Ruf des Weibchens mit dem es auf seinen Standort hinweist. Harmlosen Zeitgenossen, welche Kleintiere, hauptsächlich Wühl- oder echte Mäuse ja sogar Käfer und Insekten jagen, Unheilverkündung in die Kehle zu legen, weist auf einen erheblichen Informationsmangel hin.

Heute wissen wir mehr über diese mittelgroße, einheimische Eulenart. In der Dämmerung und in der Nacht werden Waldkäuze lebhaft. Tagsüber hocken sie oder liegen auf ihre Flügelbüge gestützt regungslos auf Astgabeln hoher Bäume. Mit ihrer braunen oder grauen, rindenähnlichen Gefiedermusterung heben sie sich vom Stamm einer Fichte, Lärche, Buche oder Föhre kaum ab. Ihre Körperkonturen verfließen mit der Umgebung. Nur eine Ansammlung von Kleinvögeln welche unaufhörlich Warnlaute von sich geben, unruhig hin und her schwirren, sozusagen – in der Fachsprache – auf den Waldkauz „hassen“, verraten seinen Sitzplatz. Da kann es schon vorkommen, dass er genervt durch das anhaltende Geschrei davonfliegt und sich einen anderen Ruheplatz sucht. Glauben Sie an das Märchen von der Tagblindheit der Eulenvögel nicht, sie sehen außerordentlich gut, ebenso bei vorhandenem Restlicht, das heißt in der Dämmerung, in sternenklaren aber auch wolkenverhangenen Nächten. Hingegen sehen sie bei völliger Dunkelheit ebenso wie wir Menschen gar nichts. Interessant ist, dass der Waldkauz wie alle Eulenvögel beinahe lautlos zu fliegen in der Lage ist. Die samtartige Oberfläche und die gezähnten Schwungfederkanten ihrer Schwingen senken das Fluggeräusch auf ein Minimum. Das hat zwei entscheidende Vorteile: Erstens verscheucht er beim Anflug seine Beute nicht und zweitens ist er selbst in der Lage, diese zusätzlich mit seinem Gehör präzise zu orten. Seine Anpassungsfähigkeit ist außergewöhnlich. Er besiedelt Laub-, Misch- und Nadelwälder, kommt in urbanen Lebensräumen ebenso vor wie in Kulturlandschaften. Obendrein ist seine Verbreitung disjunkt, denn er lebt in zwei voneinander völlig getrennten Arealen: Europa sowie Ostasien. Mit etwa 700 000 standorttreuen Brutpaaren ist der Bestand des Waldkauzes in Gesamteuropa stabil und noch nicht gefährdet.

Monogam ein Leben lang

Sein Lieblingsbrutplatz zum Brüten ist die Baumhöhle, jedoch ist der Waldkauz bei fehlen solcher Anlagen derart anpassungsfähig, dass er auch Krähen- oder Raubvogelnester, Felsnischen, verlassene Taubenböden, jede Art von Hohlräumen, ungestörte Gebäudewinkel, Mauerlöcher in Ruinen aber auch Nistkästen annimmt. Im Extremfall reicht sogar eine Mulde im Boden. Vom Eintragen irgendwelchen Nistmaterials hält er nichts. Schon im Oktober/November beginnt der Eulenvogel mit seinen schaurig-schönen Vorbalzrufen und erreicht damit seinen vorübergehenden Höhepunkt, den man „Scheinbalz“ nennt. Erst im Dezember verflachen diese Gesänge, um sich im Januar wieder erneut mit dem richtigen Balzbeginn einzustellen. Im März ist „Hoch“zeit, die Gesänge sind mitunter allabendlich zu hören. Männchen locken die Weibchen durch „kollern“, singen aus der vorgesehenen Bruthöhle, erhöhen demonstrativ ihre Flugaktivität rund um den Brutplatz, klatschen mit den Flügeln, scharren und nagen im Nest, um es der Auserwählten zu zeigen. Ein aufwendiges Werben zu der auch die Balzfütterungen durch das Männchen gehört, denn die Häufigkeit des Beuteangebots signalisiert dem Weibchen deren Qualität und gibt Aufschluss über die Nahrungsquantität zur Brutzeit, in der ausschließlich das Männchen jagt. Danach kann das Weibchen die Gelegegröße ausrichten, während bei Nahrungsmangel die Brut, ja sogar die Paarbindung abgebrochen werden kann. Die Erstverpaarung ist lebensbestimmend, denn von diesem Zeitpunkt an sind Weibchen und Männchen unzertrennlich, sie bleiben bis zu ihrem Ende in monogamer Gemeinschaft zusammen. Während der Anpaarung schlafen beide in engem Kontakt, das allerdings ändert sich nach der Brutzeit, dann bevorzugen die Beiden getrennte Ruheplätze. Im März/April legt das Waldkauzweibchen in der Regel drei bis fünf weiße, fast kugelförmige Eier. Jetzt heißt es vier Wochen alleine, während das Männchen die Nahrung heranschafft zu brüten, vier Wochen gemeinsam die Nestlinge aufzuziehen und weitere vier Wochen die Ästlinge zu behüten und mit Nahrung zu versorgen.

Am Anfang steht das Klettern

Nur ca. 28 Gramm wiegen frischgeschlüpfte Jungwaldkäuze, dennoch wirken sie sehr robust. Sie sind kräftige Tiere welche bereits am 1. Tag aufrecht sitzen können und im Liegen herumkrabbeln. Ihre Augen öffnen sich am 9. Lebenstag und nach 12 Tagen kann man Ansätze des im Ästlingsstadiums so bedeutenden Kletterns erkennen. Die tiefen röhrenartigen Bruthöhlen zwingen die Jungen zum Ende der Nestlingszeit zum Ausstieg hochzuklettern, dabei werden die Flügel ebenso wie die Krallen eingesetzt und um nach einem Stück anstrengenden Weges zu rasten, hängen sie sich mit dem Schnabel ein. Im Alter von 30 Tagen etwa springen sie kurzerhand aus ihrem Nistplatz in die Tiefe und hocken vorerst – scheinbar „verlassen“ – auf dem Waldboden. Um zu einem sicheren Sitzplatz zu gelangen ist Klettern angesagt. Wieder setzen sie Schnabel, Krallen und Flügel ein, überwinden unglaubliches Terrain, finden Halt an rauer Borke und landen schließlich wieder in luftiger Höhe. Unkoordiniertes Beutefangverhalten zeigt sich bereits in diesem Lebensstadium. Zwischen dem 90. und 100sten Lebenstag sind sie voll flugfähig. Das Beuteschlagverhalten hat sich mitentwickelt und die Eltern führen ihren Nachwuchs zu den einträglichsten Jagdgebieten in ihrem Revier. Bis zum Herbst tolerieren sie deren Beuteerwerb, dann löst sich die Familie auf. Die Jungen beginnen herumzustreunen und haben nach einem Jahr ihr eigenes Revier gefunden.

Vom Regenwurm bis zum Kaninchen

400 Gramm, etwa 100 Gramm weniger als das Waldkauzweibchen wiegt das Männchen und hat bei einer Größe von etwa 42 cm eine Flügelspannweite von 93 cm. Das Gewicht schwankt zwischen 330 bis 470 Gramm beim männlichen Waldkauz und zwischen 400 bis 630 Gramm beim Weiblichen. Wichtige Körpermerkmale sind die dunkelbraunen Augen, der große runde Kopf ohne Federohren und der gedrungene Körper. Der Kleinere sorgt wie erwähnt während der Brutzeit für Nahrung. Das Muttertier beteiligt sich bereits nach der 2. Nestlingswoche am Beutefang. Die Tiere können Säuger und Vögel bis zu einem Gewicht von 300 Gramm überwältigen, von Tauben bis zum Jungkaninchen. Bis zu 80% stehen Mäuse auf dem Speiseplan des Waldkauzes. Er jagt Vögel, Frösche und Kröten, Käfer und Fische und für die Jungenaufzucht werden häufig Regenwürmer aus ihren Erdlöchern gezogen. Um seine Beute zu erwerben, lokalisiert er sie optisch aber auch akustisch. Vom Angriffsflug über das Zupacken in der Fangstellung, das Mürbewalken oder -kneten sowie der Tötungsbiss sind angeborene Verhaltensweisen. Zudem spezialisieren sich Nachtgreifer auf unterschiedliche Jagdtechniken. Sie verfügen zudem über genaue Ortskenntnisse und schätzen das Beutepotential in ihren etablierten Revieren ziemlich genau ein, speziell in Mangeljahren ist das sehr wichtig, denn da geht es ums Überleben. Diese Kenntnisse werden von den Elterntieren an die Jungen weitergegeben. Die Jagd dieser Vögel der Nacht ist trotz Geräuscharmut sehr kraftvoll. Vor wuchtigem Aufprall scheuen sie nicht zurück, da sie dadurch erstaunlich wehrhafte Beute überwältigen können. Meist sitzen sie auf Jagdwarten in unterschiedlichsten Höhen; suchen sie wirbellose Tiere, dann lauern sie direkt auf dem Waldboden. Reglos, auf feinste Geräusche achtend, stellt der Waldkauz dem Regenwurm nach. Selbst durch hohes Gras hindurch vermag er sich bewegende Würmer akustisch zu orten. Laufkäfer werden von Blättern oder Zweigen abgelesen. Mit seinen langen Beinen angelt der Nachtgreif durch das Flugloch nach Höhlenbrütern. Manchmal scheucht er durch mehrmaliges Anfliegen an Vogelschlafplätze das Federvieh auf und verfolgt es. Er jagt Fledermäuse, erbeutet an seichten Wasserstellen Kleinfische und sucht im strengen Winter die Kadaver an „Luderplätzen“ auf. Ganzjährig deponiert er Beuteüberschuss in Höhlen sowie Ritzen und fixiert sie mit Schnabelstößen in den verschiedensten Ecken. Beute bis Mausgröße wird ganz verschlungen, Größeres wird zerteilt, Vögel gerupft. Unverdauliches wie Haare, Federn, Chitin, Zähne, Knochen wird als Gewölle hervorgewürgt und ausgespien.

Früher oder später – gefährdet

Der Waldkauz bleibt ganzjährig in seinem Revier. Durch die Reviertreue mag sich auch seine Dauerehe mit dem Partner erklären. Diese Nachtgreifer leben immerhin 16 bis 19 Jahre lang in freier Natur. Die selbstständig gewordenen Jungvögel entfernen sich im ersten Herbst kaum weiter als 10 bis 15 km von ihrem Geburtsort und lassen sich nach ihrer Geschlechtsreife, die sich nach einem Jahr einstellt, auch in diesem Umfeld nieder. Bisher wurde aufgrund der Vielseitigkeit was die Brutplatzwahl und die Anpassung bezüglich ihrer Ernährung anlangt der Bestand als stabil und nicht gefährdet angesehen. Dennoch sind durch Freileitungen, Bahn- und Straßenverkehr hohe Verluste zu beklagen. Auch Lüftungsschächte und Kamine in denen Käuze beim Hineinfallen nicht mehr herausklettern können sind Todesfallen. Noch sind spezielle Schutzmaßnahmen nicht erforderlich, und da in unseren Bereichen auch der Sperlingskauz sowie der Raufußkauz – welche in seinem Beuteschema enthalten sind – vorkommen, sollte man auf eine gezielte Förderung des Waldkauzes durch Ausbringen von Nistkästen verzichten.