Leben im Verborgenen – Mäuse

Mäuse gehören zur hoch effizienten und artenreichsten Ordnung der Nagetiere (Rodentia) mit mehr als 1700 Arten, welche beinahe weltweit in fast allen Klima- und Habitattypen vertreten sind, wobei die Familie der Echten Mäuse – auch Langschwanzmäuse, Echtmäuse oder Muriden genannt – stammesgeschichtlich gesehen zu den jüngsten Tiergruppen gezählt wird. Wichtigste Gruppenmerkmale sind der Mangel an Sonderanpassungen und die ungeheure Formenfülle.

Die Muriden oder „Echten Mäuse“

Allein bei den Muriden werden heute ungefähr 120 Gattungen mit rund 460 Arten beschrieben. So genau sind die Zahlen nicht festzumachen, denn immer noch laufen mannigfaltige Vorgänge neuer Arten- und Unterarten-Bildungen ab. Auf dem Eurasischen Kontinent konnten sich 4 Gattungen in den kühleren Gebieten ausbreiten: Apodemus (Eurasiatische Wald- und Feldmäuse), Micromys (Eurasiatische Zwergmäuse), Mus (Mäuse im engsten Sinn) und schließlich Rattus (Echte Ratten) mit den schier unverwüstlichen Haus- und Wanderratten, die von den Menschen auch in die Neue Welt eingeschleppt wurden, wo sie ursprünglich nicht vorkamen und sogar in durch Atombombentests verseuchten Gegenden unbeschadet überleben!

Im Gegensatz zu vielen anderen Nagern in der Mäuseverwandtschaft führen Echtmäuse eine vorwiegend oberirdische Lebensweise. Laufen, Springen, Klettern und Schwimmen beherrschen sie ausgezeichnet, unter den Sinnen spielen Geruch und Gehör die Hauptrolle, wobei vor allem hohe Töne wahrgenommen werden – die obere Hörgrenze der Hausmaus liegt bei unglaublichen 100 kHz!

Auf ihrem Speisezettel findet sich im Allgemeinen hauptsächlich Vegetarisches, es gibt aber auch etliche Arten, die sich gemischt oder opportunistisch, das heißt nach dem gegebenen Nahrungsangebot, vielseitig ernähren. Ihre feine Nase führt sie aber nicht nur zu Leckerbissen, auch beim Verfolgen der mit Harn markierten Duftstraßen leistet der Geruchsinn unverzichtbare Dienste.

Ein Kommensale des Menschen

Am bekanntesten ist wohl die sogenannte Hausmaus (Mus musculus), doch wer weiß schon, dass hier Maus nicht gleich Maus ist: Es existieren die eng an den Menschen und seine Unterkünfte gebundene Westliche oder Haus-Hausmaus (Mus musculus domesticus), welche westlich der Elbe in West- und Nordwesteuropa vorkommt, und die Nördliche Hausmaus oder Feld-Hausmaus (Mus musculus musculus), die östlich der Elbe in Ost- und Nordosteuropa lebt und je nach den Wetterverhältnissen auch außerhalb von Häusern ihr Auskommen findet.

Die überaus verträglichen, in Großfamilien lebenden Hausmäuse sind Allesesser, jedoch mit einer Vorliebe für Getreide und deren Erzeugnisse. Die hohe Fähigkeit vor allem weiblicher Tiere mit ihren Jungen verschiedener Altersstufen friedlich auf engstem Raum in sogenannten Gemeinschaftsnestern mit bis zu 40 Tieren zusammenzuleben, ermöglicht die effiziente Ausbeutung günstiger Plätze, wie zum Beispiel volle Getreidespeicher.

Mäuse sind überaus vermehrungsfreudig, schon im Alter von 2-3 Monaten, unter günstigen Bedingungen auch früher, werden Hausmäuse geschlechtsreif. Nach ca. 20 Tagen Tragzeit werden durchschnittlich 6, im Höchstfall bis 13 ein Gramm leichte Junge als Nesthocker geboren und beginnen bereits um den 17. Lebenstag selbstständig zu fressen, trinken aber bis zum Alter von 4 Wochen an ihrer Mutter. Ohne besondere Einschnitte kann die Vermehrung bei hausbewohnenden Mäusen auch im Winter erfolgen, im Freiland dagegen werden längere Pausen eingelegt.

Wird die Populationsdichte bei Hausmäusen jedoch zu hoch, vollzieht sich eine erstaunliche Selbstregulation: Zahlreiche Weibchen – vor allem die Heranwachsenden – werden nicht fruchtbar. Die Scheide bleibt verschlossen, die Gebärmutter fadendünn und die Eierstöcke werden nicht tätig. Übervölkerungsprobleme werden so auf friedlichem Wege gelöst.

Neben diesen im Gefolge des Menschen mittlerweile weltweit verbreiteten Hausmäusen leben weitere interessante Vertreter der Langschwanzmäuse in Wald und Flur, und sogar im Gebirge.

Halmwald-Bewohner ersten Ranges

Mit der Haselmaus zu verwechseln und ein hochspezialisierter Halmkletterer ist die quirlige dämmerungs-, nacht- und auch tagaktive Zwergmaus (Micromys minutus), auch Eurasiatische Zwergmaus genannt. Dieses nur 55 bis 75 mm kleine, rot- bis dunkelbraune und weißbäuchige 5 bis 7 Gramm Leichtgewicht gilt als eines der kleinsten Nagetiere überhaupt. Ihre Ohren ragen kaum aus dem Fell hervor und auch ihr Köpfchen ist so klein, dass sich diese Tierchen selbst durch nur 1cm große Öffnungen zwängen können! Mit ihrem 5 bis 7,5cm langem, nacktem Greifschwanz klettert die kleinäugige Zwergmaus geschickt in Gebieten mit dichter Vegetation wie hohen Gräsern, Schilf- und Röhrichtbeständen an Gewässern. Man entdeckt sie aber auch in Getreidefeldern, an Waldrändern und gelegentlich in Hecken, wo sie nach Grassamen, Getreidekörnern, Beeren, Insekten und ihren Entwicklungsstadien suchen. Ihre Nahrung ist also sehr vielfältig, doch eine ausgesprochene Vorratshaltung wurde bislang noch nicht belegt.

Besiedelt werden bevorzugt tiefer gelegene Lebensräume, im Gebirge sucht man sie für gewöhnlich vergebens, es soll aber auch Funde bis in 1700m SH geben! Zwergmäuse beanspruchen nur kleine Reviere und siedeln oftmals dicht nebeneinander, obwohl sie gemeinhin als „ungesellig“ bezeichnet werden. In Hungerzeiten, besonders im Winter, soll sogar Kannibalismus vorkommen! Die Fortpflanzungszeit liegt zwischen April und September, so kann es bei einer Tragzeit von ca. 21 Tagen theoretisch bis zu 6 Würfe pro Jahr geben. In den mit fein zerschlissenen Gräsern und Pflanzenwolle, manchmal mit Vogelfedern ausgepolstertem kugeligen Wurfnest lebt die Mutter allein mit ihren 2 bis 6 (7) Jungen. Diese entwickeln sich rasch, sind bereits mit 16 Tagen selbstständig und nach etwa 4-5 Wochen geschlechtsreif. Den Winter überdauern die Tiere in Nestern am Boden oder in Erdhöhlungen.

Zwerge haben´s schwer

Bei guter, artgerechter Haltung in geräumigen Terrarien können Zwergmäuse 3 bis 4 Jahre alt werden, in freier Natur aber beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung nur etwa 18 Monate, denn die Liste ihrer Feinde ist lang: Mauswiesel, Hermelin, Fuchs, Schlangen, Greifvögel, Eulen, Rabenvögel und sogar Würger stellen ihnen nach. Nicht zuletzt die Auswirkungen der massiven und oftmals unumkehrbaren negativen Eingriffe des Menschen in die Lebensräume dieser Zwerge – Trockenlegungen von Feuchtgebieten, Intensivierungen in der Landwirtschaft, Zu- und Anschüttungen, Spritzmitteleinsätze, „Bereinigungen“ der Landschaft und Zerstückelungen noch vorhandener geeigneter Flächen können einer ohnehin schon geschwächten Population den Todesstoß versetzen.

Aufgrund ihrer Kleinheit und Habitat-Vorlieben sind Zwergmäuse naturgemäß schwer aufzuspüren, doch ist ein behutsames Suchen nach den bis max. 10cm großen, kugelförmigen Wurf- und Schlafnestern, die in rund 20 bis 130cm Höhe zwischen den Halmen eingewoben werden, eine spannende Sache, und – wenn von Erfolg gekrönt eine kleine faunistische Sensation für Kärnten, denn laut „Rote Listen gefährdeter Tiere Kärntens“ (1999) gilt die Zwergmaus in diesem Bundesland als „Ausgestorben“, „Ausgerottet“ oder „Verschollen“. Auch im übrigen Österreich ist diese winzige Maus nicht sicher und wird als „NT“ (Near Threatened, Gefährdung droht) im aktuellen „Rote Listen Buch gefährdeter Tiere Österreichs“ (2005) eingestuft, ebenso ist in weiteren Teilen Europas der Bestand rückläufig.

In Wald und Flur

Weitverbreitet und häufig sind hingegen die vorwiegend nachtaktiven Zwillingsarten Gelbhalsmaus (Apodemus flavicollis) und Waldmaus (Apodemus sylvaticus). Beide haben die gleichen großen Augen und Ohren, beide sind ausgezeichnete Kletterer und können Nahrung hoch im Geäst suchen. Laufen, Springen und Schwimmen beherrschen sie aber ebenfalls ausgezeichnet.

In Gebieten, wo beide vorkommen, lebt die Gelbhalsmaus meist im Inneren des Waldes und kommt auch mit feuchten und schattigen Plätzen zurecht, offenere Stellen meidet sie weitgehend. Diese werden dann gleich von der Waldmaus besiedelt. In der Wahl ihrer Lebensräume sind sie also verschieden. Waldsamen wie Bucheckern, Eicheln, Haselnüsse, Kastanien und Koniferensamen sowie ein beträchtlicher Anteil an tierischer Nahrung stehen auf dem Speisezettel der robusten Gelbhalsmaus, die zierlicheren Waldmäuse hingegen bevorzugen Samen von Gräsern und Kräutern, Beeren und Obst, aber auch Getreidekörner. Beide Arten betreiben Vorratshaltung, wobei die Waldmaus tiefe Baue mit 2 Eingängen gräbt. Mancherorts wird die Waldmaus auch „Springmaus“ genannt, weil sie bei hoher Flucht nur noch auf den Hinterbeinen hüpft.

Ein „Hüpfer“ in Österreich

Eine echte Springmaus ist die zur Familie der Hüpf- oder Springmäuse (Zapodidae bzw. Dipodidae) gehörende und auch in Kärnten beheimatete Birkenmaus (Sicista betulina), auch Waldbirkenmaus genannt. Ihre unauffällige gelblich-graue Fellfarbe bietet eine gute Tarnung in ihrem Lebensraum, doch ein auffälliges Merkmal ist der dunkle, bis zu 4mm breite Strich, der von der Kopfoberseite über den Rücken bis zur Schwanzwurzel verläuft. Nur die tagaktive Brandmaus (Apodemus agrarius) ist ähnlich gezeichnet und könnte zu Verwechslungen führen, allerdings ist die Oberlippe der Birkenmaus nicht gespalten.

Birkenmäuse dringen in den Alpen in Höhen bis über die Waldgrenze vor, wo sie auf Almflächen, in Zwergstrauchheiden und in Mooren zu finden sind. In ihrem zersplitterten Verbreitungsgebiet bewohnt sie aber sehr unterschiedliche Lebensräume von Tallagen bis in Bergregionen: Seen- und Sumpfgebiete sowie Uferbereiche, lichte und bodenfeuchte Mischwälder mit dichter Strauchschicht und Flächen, wo verschiedene Habitatstypen aneinander treffen.

Diese hauptsächlich dämmerungs- und nachtaktive Springmaus legt Erdröhren und Kammern dicht unter der Oberfläche und Gänge in vorhandener Laub- und Streuschicht mit Verbindung zu den Erdröhren an, legt aber auch weite Strecken kletternd in niederen Sträuchern zurück, wobei sie ihren langen Schwanz zu Hilfe nimmt. Birkenmäuse fressen Beeren, Früchte, Samen, Larven und jagen geschickt nach Insekten wie Fliegen und Heuschrecken. Je nach Angebot beträgt das Verhältnis zwischen pflanzlicher und tierischer Kost 50:50.

Winterschlafende Maus

Wie die Zwergmäuse bauen auch sie kugelige Nester zur Jungenaufzucht und zum Schlafen. Als Baumaterial verwenden sie Gras, Moos und Rindenstücke, welches sie in hohlen Baumstämmen, zwischen Asthaufen, in trockenem Moos oder dichtem Gras geschickt verarbeiten. Birkenmäuse halten im Gegensatz zu den Echtmäusen einen 6 bis 8 Monate langen Winterschlaf in frostfreien Erdbauten oder in größeren, besonders gut isolierten Nestern. Dafür futtern sie sich auch einen Fettvorrat an und suchen bevorzugt feuchtere Plätze als Schutz vor Austrocknung auf.

In Kärnten ist die Birkenmaus als „Gefährdet“ eingestuft, als Ursachen zählen vor allem Wildwasser- und Lawinenverbau, Forstwirtschaft mit Straßenbau und großflächigen Hangzerstörungen sowie zunehmender Einsatz tonnenschwerer Holzernte-Maschinen, Erschließungen für den Wintersport, Erosion durch Weganlagen für den Tourismus, Zerstörung von Mooren. Das Ostalpenareal gilt als eiszeitliches Reliktvorkommen, Österreich ist laut den aktuellen Roten Listen (2005) für den Weiterbestand dieser Art stark verantwortlich, da aufgrund der inselartigen Verbreitung ein zusätzliches Gefährdungspotential besteht. Eine weitere Springmausart, die Streifenmaus (Sicista subtilis) hat Österreich bereits verloren – sie gilt als „Ausgestorben“, „Ausgerottet“ oder „Verschollen“.

Verräterische Fährten…

Mäuse in ihrem natürlichem Lebensraum aufzuspüren ist ein Geduldsspiel und zeitaufwendig, viel häufiger verraten typische Spuren und Fährten ihre Anwesenheit.

Nicht nur die schon beschriebenen Nester geben Auskunft über die diversen Kleinsäuger, selbst jetzt im Winter kann ein aufmerksamer Beobachter die zarten Fußabdrücke im Schnee entdecken, denn Echtmäuse sind ganzjährig aktiv und fallen nur bei Engpässen in eine Art Starre oder „Torpor“, einem Zustand des „Lebens auf Sparflamme“.

Typisch für Langschwanzmäuse sind die Abdrücke von Springgruppen mit den größeren Hinterpfoten und 5 Zehen sowie kleineren Vorderpfoten mit 4, stark spreizbaren Zehen und spitzen Krallen. Aneinandergereiht entsteht eine Doppelreihe von Fußabdrücken mit einer zarten Schleifspur des langen Schwanzes dazwischen. Auch Wühlmäuse sind in der kalten Zeit aktiv und bewegen sich gehend, im Schnee zumeist springend vorwärts, doch legen sie oftmals nur kurze Strecken oberirdisch von einem Baueingang zum nächsten oder zu ihrem Vorratslager zurück. Ihre kurzen Schwänze hinterlassen nur in hohem Pulverschnee gute Abdrücke. Am liebsten wühlen diese Nager unter dem Schnee weitverzweigte Gänge in den Pflanzenwuchs, welche dann im Frühjahr, z.B. auf einer Wiese, deutlich sichtbar werden.

…und Spuren

Fraßspuren an Waldfrüchten oder Obst verraten ebenfalls, wo Mäuse leben: Fein abgenagte Zapfenspindeln von Koniferen, mehr oder weniger deutliche Zahnmarken der Schneidezähne an diversen Nüssen, abgenagte Hüllblätter von Maiskolben und Zahnmarken an den ausgelösten Körnern, Nagespuren an der Rinde von Ästen und Zweigen dicht über dem Boden oder sogar im Kronenbereich hoher Bäume. Bei den hartschaligen Baumfrüchten wenden Wald- und Rötelmäuse sogar eine spezielle Nagetechnik an, und nicht nur von Förstern gefürchtet ist die unterirdische Fraßtätigkeit der Wühlmäuse am Wurzelwerk von Sträuchern, Bäumen, oder auch Gartenfrüchten. Die kleinen, walzenförmigen und harten Endprodukte der Nahrungsaufnahme, die „Kotpillen“ , sind bei Haus- und Waldmaus in der Regel dunkel grau-braun mit unregelmäßiger Oberfläche, jene der Wühlmäuse grünlich-braun, glatt und sind als kleine Häufchen an den Fraßstellen zu entdecken. Achtung: nicht mit Mäusekot zu verwechseln ist die ähnliche, aber krümelige, dunkelbraun bis schwarze Losung der insektenfressenden Fledermäuse (Chiroptera). Unter der Lupe sieht man hier deutlich die Reste von Fühlern, Beinchen oder Flügeldecken der Gliedertiere.

Eine gute Quelle zur Erhebung von Kleinsäugern bieten auch die Gewölle von Tag- und Nachtgreifvögeln, die den Mäusen und ihren Verwandten emsig nachstellen. Hier entdeckt man neben einzelnen Knöchelchen auch intakte Kiefer mit den Zähnen und sogar ganze Schädel der verschlungenen Beutetiere.

Ambivalentes Verhältnis

Wenige Zeitgenossen hegen Sympathien für Mäuse und ihre Verwandten. Als erstes fällt ihnen wohl das Wort „Schädling“ ein, der sogar Krankheiten übertragen kann und bei massenhaftem Auftreten offensichtliche Ernteeinbußen verursacht. Vergessen wir aber nicht, dass diese Tierchen eine wichtige Rolle im Nahrungsnetz der Natur spielen und für imposante Schauspiele sorgen können – man denke nur an die Massenwanderungen der Lemminge. Einige Arten in der Mäuseverwandtschaft schafften sogar den Sprung zum umhegten Haustier – zum Beispiel die quirligen Rennmäuse, Goldhamster und Chinchillas – und als bedauernswerte, hochgezüchtete „Labormäuse und –ratten“ sind sie (noch?) unverzichtbar in Medizin und Forschung.